Greizer Weihnachtsmarkt 2011Weihnachtsmann Dirk Geßner

Wer sind eigentlich die weihnachtlichen Gestalten St. Nikolaus, Knecht Ruprecht und der Weihnachtsmann?

GREIZ. Weihnachten ist das Fest des gegenseitigen Freudebereitens. Das ist sein Grundcharakter von eh und je gewesen, auch wenn die uralten Impulse des Freudenfestes im Verchristlichungsprozeß des mittwinterlichen Brauchtums oft eine ganz andere Ausdeutung erfahren mußten. Die religiöse Umkleidung hat heute bei einem großen Teil unserer Bevölkerung ihre Bedeutung verloren; die Zeit „ze den wihen nahten” (Einzahl „wihnacht” zuerst 1170 bei dem Spruchdichter Spervogel) hat heute zum Teil ihren ursprünglichen Sinn zurückgewonnen. Ganz gleich, ab wir Christen oder Atheisten sind: die Gedanken des Friedens auf Erden vereinen uns zu diesem Fest, denn sie sind der Ausdruck menschlichen Lebenswillens überhaupt. Besinnlichkeit und Lebensfreude, die Grundelemente aller Feste und Feiern, sind deshalb auch nur dort zu Haus, wo Menschen guten Willens sind, Friede auf Erde zu stiften. Sitten und Bräuche, die von dieser Sinndeutung aus noch lebenskräftig und wirksam sind, sollten wir mit feinem Empfinden für die schöpferische Kraft des Volkes als progressive Traditionen pflegen und weiterzuentwickeln versuchen. Das gegenseitige Sichbeschenken — in Maßen und nicht mit Warenscheck und alle Gefühlswerte veräußernder kommerzieller Geschäftigkeit — den anderen am erarbeiteten Erworbenen teilhaben zu lassen, weist auf eine im Weihnachtsfest liegende tiefe Besinnlichkeit hin, daß nämlich unser Leben und Tun untrennbar mit allen anderen Menschen guten Willens verbunden ist.
Sich am Ende des Jahres während der Saturnalien (etwa vom 17. bis 22. Dezember) zu beschenken, war schon im alten Rom unter Kaiser Augustus Brauch. Die Germanen beglichen zur Zeit des Julfestes ihre Schulden, indem sie als Anerkennung für erwiesene Hilfe mehr zurückgaben. Später änderte sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung im Feudalismus die Sinndeutung dieses Brauches. Eine Quelle aus dem 14. Jahrhundert berichtet uns vom „largum sero”, vom „freigebigen Abend”. Von da geht die Entwicklung zu unseren heute üblichen Bescherungen am Weihnachtsabend. Während bei den Julklappbräuchen noch in der Form geschenkt wurde, daß der Geber unbekannt blieb, hat sich bei uns die Form des Gabentisches mehr und mehr durchgesetzt. Aber ein wenig vom Julklappschenken ist erhalten geblieben, indem nämlich die alten weihnachtlichen Brauchtumsgestalten wie Nikolaus, Knecht Ruprecht und der Weihnachtsmann als Mittler beim Übergeben der Geschenke fungieren. Von ihnen wollen wir ein bißchen plaudern.

„Sankt Nikolaus”

Wie viele unserer kleinen Kinder, für die die Vorweihnachtszeit noch immer voller Erwartung und Spannung ist, freuen sich auf den 6. Dezember, den Nikolaustag. Am Vorabend stellen sie einen Schuh — möglichst groß — oder einen Teller vor dem Schlafzimmer auf, in das ihnen der Nikolaus über Nacht ein Geschenk hineinlegt: Gebackenes, Obst, Nüsse, Lebkuchen in Herzform, Spielzeug, aber auch schon warme Kleidungsstücke für den Winter. Selten noch tritt er selbst auf, der alte wattebärtige, polternde Mann mit Rute und Sack, lobend, strafend und examinierend. Er ist zur legendären Brauchtumsfigur geworden. Wo aber ist er einstmals hergekommen, welche Rolle hat er in Sitte und Brauch der Vorweihnachtszeit gespielt?
Er ist viel älter als sein christlicher Name aussagt. Man muß ihn bei den Lärmumzügen suchen, die die bösen Geister des Winterdunkels in der Vorweihnachtszeit verscheuchen und sich und anderen Segen verschaffen sollten, wie z. B. das „Perchtenlaufen” in Süddeutschland, das „Anklopfen” in den Klöpflesnächten, das „Sternsingen” zum Dreikönigstag und schließlich bei den eigentlichen Nikolausaufzügen. Diese Bräuche sind älter als das Christentum und lassen sich wohl als alte Fruchtbarkeitsbeschwörungen der Vegetationsdämonen erklären. Da der Wanderweg des Weihnachtsfestes über die gallo-romanischen Lande zu uns gegangen ist, kam auch der Nikolaus in christlicher Gestalt von dort zu uns. Erst im ausgehenden Mittelalter haben sich bei uns die volkstümlichen Formen der Nikolausbescherung herausgebildet. Wie der Christenheilige Nikolaus, in dem sich die Gestalten eines im 4. Jahrhundert lebenden Bischofs von Myra in Kleinasien und des 564 verstorbenen Abtes Nikolaus von Sion vermischen, in das Brauchtum des gabenspendenden, strafenden und belohnenden Kinderfreundes hineinwuchs, läßt sich heute nicht mehr eindeutig feststellen. Die „Legende, die den Bischof drei zerstückelte Scholaren zu neuem Leben erwecken ließ”, soll ihn zum Freund der Jugend und zum Schulpatron gemacht haben! Aus dieser Würde erwuchs dem Nikolaus zwanglos die belohnende und bestrafende Tätigkeit mit Prüfung und obligatorischer Rute, die in ihren Auswüchsen sehr gut den mittelalterlichen Schulverhältnissen entsprach. Abraham a Santa Clara hat uns den examinierenden Vorweihnachtsheiligen lustig geschildert: „Fragt der Nicola: Wie sich die Kinder das ganze Jahr hindurch verhalten haben. Ob sie deren Eltern und Lehrern gehorsam gewesen sein? Ob zum Exempel der Hänserl und der Paul nicht zu faul? Ob der Fräntzerl und Ignazerl kein schlimmes Frazerl? Ob der Michel und Six vielleicht gelernt nix? Ob die Kätherl gern bei dem Räderl? Ob die Sabindl gern bei der Spindl? Ob die Liserl und Therserl nicht etwan zwei junge Eserl?”
Da, wo der Nikolaus nicht persönlich auftritt, wirft er nach dem Kinderglauben die Gaben durch die Schornsteine, so wie es heute noch die Pariser und Londoner Kinder halten, die in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember möglichst viele und große Schuhe (auch aus Holz) an den Kamin stellen, damit sie ihnen ihr Pere Noel mit Geschenken füllt. Bei uns legt er sie, wie schon oben gesagt, auch auf Teller, in Strümpfe, Mützen, Schuhe und Stiefelchen, die die Kinder des Abends zuvor ans Fenster, ans Bett oder vor die Tür stellen. So verkörpert der Nikolaus über seine vielfältigen Wandlungen durch die Jahrhunderte heute noch am reinsten den Grundcharakter der festlichen kommenden Weihnachtstage: Die Vorfreude unserer Kinder auf den Weihnachtsbaum und den gabenreichen Bescherungstisch. Deshalb singen sie auch so gern das Nikolauslied:

„Laßt uns froh und munter sein
und uns unseres Lebens freun.
Lustig, lustig, traleralera,
bald ist Nikolausabend da.”

Knecht Ruprecht

In der Regel befanden sich ehemals im Gefolge des gutmütigen Nikolaus eine oder mehrere Mittwintergestalten, die fast nie ihre Herkunft vom pelzzotteligen „Wilden Mann” oder einem ausgesprochenen Tierdämon verleugneten. Sie weisen der Landschaft entsprechend außerordentlich verschiedene Namen auf: Ruprecht rauher Percht (Unholdgeist), Rugpelz (Rauher Pelz), Strupelz (Strohpelz), Hans Muff (Hängemaul), Dollochs, Stämpes (von stampfen), Krampus (von krammen = mit den Klauen packen) u. v. a. Auf deutschem Boden ist der häufigste Begleiter der Ruprecht geworden. Dieser derbe urwüchsige Gesell hat jahrhundertelang zur Weihnachtszeit die Kinder erschreckt, mit der Rute bedroht und dann mit Süßigkeiten belohnt. Schon im 16. Jahrhundert ist er bekannt; im 17. sucht man seinen Namen von dem um das Jahr 1000 lebenden Priester Rupertus abzuleiten. Wie dem auch sei, der Knecht Ruprecht hat gerade im 16. und 17. Jahrhundert furchtbare Gestalt für die Kinder angenommen.
Als Erzbösewicht wird er bezeichnet, der die aus Furcht halberstorbenen kleinen Kinder immer wieder mit harten Anklagen und des „In-den-Sack-Stecken” bedrohte. Der Kampf um die Kinderseelen, gegenüber deren „verstockter Sündhaftigkeit” Knecht Ruprecht nicht die mindeste Gnade walten lassen will, geht so weit, daß uns theologische und pädagogische Schriften aus jener Zeit von Beispielen berichten, wie Kinder aus Schreck vor der Ruprechtsgestalt gestorben oder in seinem Sack erstickt seien. Bilderbogen aus jenen Jahrhunderten beweisen mit ihren Reimen, welch krasser Mittel man sich zur Erschütterung der kindlichen Seelen bediente. In einem Augsburger Bilderbogen wird schließlich aus dem Ruprecht sogar ein „Kinderfresser”, ein häßlicher behaarter Riese, aus dessen Gurtsack sowie den Manteltischen zahlreiche Köpfe eingesteckter Kinder herausschauen. Aber diese dämonischen, unhumanistischen Züge der Ruprechtsgestalt verblassen im 19. Jahrhundert. Die dienende Rolle, die das Christentum dieser Gestalt als Knecht erst für den Nikolaus, später für das Christkind gab, hat ihn zahm gemacht und zu einer fröhlichen Begleitergestalt werden lassen. Nirgends ist das schöner ausgedrückt als in dem uns allen noch vertrauten heimeligen Gedicht von Theodor Storm: „Von drauß’ vom Walde komm ich her, ich muß euch sagen: Es weihnachtet sehr!” oder in Paula Dehmels allbekanntem Gedicht „Sankt Niklas Auszug”. Und tatsächlich hat der alte Ruprecht gut umgelernt. Haben wir ihn doch gerade in den letzten Jahren oft als großartigen „Pädagogen” erlebt, der mit den Kindern spielte, sang, Rätsel knackte und tanzte — und sie dann noch aufs weihnachtlichste beschenkte! Und heute singen wir mit unseren Kleinen und zuweilen auch noch mit manchen Großen:

Wie sieht bloß der Knecht Ruprecht aus,
der Weihnachtsmann, der Nikolaus?
Wenn ich ihn nur mal sähe!
Er kommt zu mir nun jedes Jahr —
und bringt mir was, das ist ja wahr, —
doch nie in meine Nähe.
Ich bin ihm gut, denn er ist gut!
Ich töte gern, was man so tut:
Ich würde mich bedanken.
Ich kann’s nicht, jedes Jahr geht’s so:
Ich treff ihn nie und nirgendwo!
Drum geht’s bloß in Gedanken!

Der Weihnachtsmann

War der Nikolaus noch mehr eine katholische Vorweihnachtsgestalt, gegen die das Luthertum aufs schärfste kämpfte, der Ruprecht eine dämonische Figur, die als Drohung in einer schändlichen Kindererziehung benutzt wurde, so schmolzen die guten Züge beider Mittwintergestalten schließlich im Weihnachtsmann zusammen. Der deutsche Weihnachtsmann ist jungen Datums. Seine Wiege steht im Süden unseres Vaterlandes. 1825 zeichnete Moritz v. Schwind in der Bilderfolge „Hochzeit des Figaro” ein Bild, das früher in vielen unserer Lesebücher zu finden war, den „Herrn Winter”. 1847 wurde aus jenem Herrn Winter zwar nicht dem Namen, wohl aber der Gestalt und den Beigaben nach unser Weihnachtsmann. Er fand Aufnahme in die „Münchner Bilderbogen” und dadurch Verbreitung in allen deutschen Landen. Der eisbärtige Greis, in weitem Kapuzenmantel und mit schweren Stiefeln angetan, einen Stechpalmenkranz auf dem Haupt und ein Lichterbäumchen eng an sich gedrückt, so stapft er durch die verschneiten Straßen einer alten Stadt. Zahllose Künstler folgten diesem Beispiel, und so entstand Mitte des vorigen Jahrhunderts eine neue Gestalt des Gabenbringers: Unser Weihnachtsmann mit dem roten Kapuzenmantel, dem wallenden Glitzerbart, den Stiefeln, dem Gabensack und dem Symbol einer bescheidenen Rute. Die krassen Formen des Kinderschrecks hat er weit hinter sich gelassen und sich ebenfalls der ausgesprochenen christlichen Züge entkleidet. „In dieser Entfärbung seiner zeitgebundenen und weltanschaulichen Züge wuchs die Beliebtheit des Weihnachtsmannes weit über die Kinderbescherung hinaus.” Heute ist er uns bei vielen Bescherungen allerorts eine willkommene, liebe Gestalt. Öffnen wir ihm deshalb auch dieses Jahr die Türen und die Herzen und wünschen und singen ihm:

„Guten Abend, schön Abend, es weihnachtet schon.
Nun singt es und klingt es so lieblich und fein,
Wir singen die fröhliche Weihnachtszeit ein!”

Literatur:
H. Gute, Von Neujahr bis Silvester. Rudolstadt 1959
A. Spamer, Weihnachten in alter und neuer Zeit. Jena 1937 E. Fehrle, Deutsche Feste und Volksbräuche. Berlin 1916
Greizer Heimatbote Dezember 1962

Dr. Kurt Kuhlmann @13.12.2018

Von Leserpost