Interessantes aus dem Greizer Lesebuch
GREIZ. Zu Anfang des 13. Jahrhunderts bereits lag zu den Füßen der Burg Greiz, ein kleines Dörfchen gleichen Namens. Die Burg ist jedenfalls im 11. oder 12. Jahrhundert wie andere Burgen an Elster und Saale, Elsterberg, Osterstein bei Gera, Burgk, von den deutschen Herren zum Schutz gegen die slavischen Nachbarn erbaut worden, als sie von unserer Gegend Besitz ergriffen hatten.
Das Dörflein war vielleicht noch älter als die Burg und ursprünglich von Slaven bewohnt. Seit Anfang des 14. Jahrhunderts war Burg und Dorf im Besitze der Herren Reuß, welche die jüngere Linie des Hauses Plauen bildeten. Die Reußen von Plauen machten Burg Greiz bald zu ihrem Wohnsitz und dadurch hob sich auch die Bedeutung des Dorfes. Vielleicht wurde es damals auch zur Stadt erhoben; denn 1302 werden zwei adlige Einwohner „Burger“ genannt; aber erst 1359 wird Greiz ausdrücklich als Städtchen bezeichnet.
Aber auch noch vor vierhundert Jahren war es ein sehr kleines Städtchen, da es noch nicht einhundert Häuser und kaum 1000 Einwohner zählte. Wie klein es war, sehen wir recht, wenn wir uns den Umfang des alten Greiz vergegenwärtigen.Als Stadt war es selbstverständlich von einer Mauer umgeben.
Wie lief diese? An der Schloßbergstraße befand sich das untere Tor, das Mühltor, von da ging die Mauer an der Elster stromaufwärts am jetzigen Küchengarten hin. Etwa beim oberen Ende des jetzigen unteren Schlosses bog sie um und lief in der Gegend des alten Lyzeums und des Archidiakonats hinüber nach der Hohengasse. Am Ende der Marktstraße, ungefähr wo die Reihe beginnt, befand sich ein zweites Tor, das Reichenbacher Tor. Dann verfolgte die Mauer die Richtung der Hohengasse. Diese war sehr schmal und hatte nur eine Reihe Häuser; sie heißt noch heute „hinter der Mauer“. An der Hirschsteingasse war das hintere Tor, das Sautor; von da lief die Mauer am heutigen Marienplatz hin zum Schloßberg hinüber. Das war der Umfang des alten Greiz: wir müssen uns also von der Altstadt alle ihre Seitenausläufer: Gerichtsstraße, Webergasse, Silberstraße und Rosengasse, Lehmgrube, Siebenhitze, Marienstraße, Parkgasse und Brückenstraße (oder Vorstadt) weggeschnitten denken. Dazu kommt aber noch, daß auf dem (seitherigen) linken Gräßlitzufer nur die Kirche und die Pfarrgebäude standen und außerdem am Platze des unteren Schlosses das alte Haus. So lag das eigentliche Städtchen umden heutigen Marktplatz herum.
Über der Stadt ragte auf dem Schloßberg das obere Schloß, die Burg oder das feste Haus Greiz, empor. Dies alte Schloß ist am 3. Juni 1540 vom Blitzstrahl entzündet, bis auf den Turm auf dem Felsen, den Bergfried, niedergebrannt. Nur in dem Teil des jetzigen Schlosses, der nach der Schanze hin liegt, sind bedeutende Mauerreste von dem alten Gebäude erhalten. Aber auch das alte Schloß muß um 1500 schon ansehnlich und umfangreich gewesen sein. Von dem Bergfried überragt und von tüchtigen Befestigungen umgeben,bot esschon damals einen stattlichen Anblick. Auch eine Kapelle war in dem Schlosse, in der regelmäßig Messe gehalten wurde; denn im Jahre 1461 hatte Herr Heinrich der ältere vom Papste selbst, als er nach dem Heiligen Lande als Begleiter des Herzogs von Sachsen eine Wallfahrt unternommen hatte,; die Erlaubnis bekommen, einen eigenen Hofkaplan zu halten.
Sehen wir uns nun in dem alten Greiz etwas um und zwar zunächst in der Umgebung der Kirche. Diese stand auf demselben Platze wie die heutige Stadtkirche. Ursprünglich war Greiz in Elsterberg eingepfarrt, aber um 1220 bauten die drei Söhne Heinrichs des Reichen von Weida, allesamt Heinrich genannt, eine eigene Kirche für ihre Burg und das dabei gelegene Dorf.
Die Herren von Lobdaburg, die Besitzer von Elsterberg,verlangten, daß diese der Elsterberger Kirche als Filial untergeordnet würde, aber die Vögte von Weida wollten sie zu einer selbständigen Pfarrei machen. Nach langem Streite kam es durch die Vermittlung des Bischofs Engelhard von Naumburg im Jahre 1225 zu einem Vertrage, in dem die Lobdaburger die Selbständigkeit der Greizer Pfarrei anerkannten. Die Kirche wurde der Gottesmutter Maria geweiht. Sie war viel kleiner, schmaler und niedriger als die heutige Stadtkirche.Ursprünglich soll sie keinen Turm, sondern nur ein Glockengeläut gehabt haben; später stand ein Glockenturm,abgesondert von der Kirche, an deren Westende; von den drei Glocken,die er enthielt,sollen zwei erst in der Reformationszeit, aus der St. Adelheidskapelle hierher gebracht sein,darunter die größte, die die Jahreszahl 1446 und die Inschrift Hilf Maria! trug. Im Innern fand sich der der Maria geweihte Hochaltar mit zwei Seitenaltären, der später durch den mit vielen starkvergoldeten Heiligenbildern geschmückten Altar von St. Adelheid ersetzt wurde.
Eine Orgel hatte die Kirche nicht,auch keine Emporen,dagegen würden uns mehrere vergitterte Beichtstühle an den Seitenwänden aufgefallen sein. Rings um sie herum lag der Friedhof, der gegenüber an der Stelle der heutigen Superintendatur, aber etwas weiter von der Kirche abgerückt der Pfarrhof mit der Pfarrwohnung und den den Hof umgebenden Wirtschaftsgebäuden, Stallung, Scheune u.s.w.Im Pfarrhof wohnte der Stadtpfarrer. Weil zum Greizer Kirchspiel noch eine Anzahl Dörfer, Gommla, Kurtschau, Pohlitz,Raasdorf und besonders die zwei Filiale Caselwitz und Nitschareuth samt Daßlitz gehörten, waren ihm zwei Gehilfen,die Vikare oder Kapläne genannt wurden, beigegeben.
Eine Schule war auch schon damals vorhanden; der einzige Lehrer war zugleich Kantor und Glöckner. Sein Einkommen war sehr gering; der Pfarrer gab ihm die Kost, jeder Schüler hatte ihm vierteljährlich einen Groschen Schulgeld zu zahlen, sonst hatte er nur noch kleine Einkünfte von kirchlichen Amtshandlungen. Die Schule befand sich aber auf einem sehr niedrigen Standpunkt; die Schüler lernten kaum mehr als Lesen und Schreiben.
Wenn wir nun weiter einen Gang durch das eigentliche Städtchen auf der rechten Seite des früheren Gräßlitzbettes unternehmen, so würden wir wohl einen ärmlichen und dörflichen Eindruck erhalten. Die Häuser waren damals meist neu, denn im Jahe 1494 war der größte Teil der Stadt abgebrannt; manche Brandstätte mochte noch daran erinnern. Die früheren Lehmhütten werden darum größtenteils verschwunden sein; die neuen Häuser waren aus Balken oder Fachwerk gebaut. Aber sie waren klein und niedrig; mit Stroh und Schindeln gedeckt, hatten hölzerne Rauchfänge, kleine Fenster mit Butzenscheiben und quer geteilte Türen mit Holzriegeln. Die Gassen waren eng und ungepflastert, voll Löcher, in denen bei Regenwetter sich große Pfützen bildeten. Allerlei Vieh, besonders Schweine und Hühner trieben sich auf den Gassen herum.
Vor den Häusern, besonders denen der Bäcker, befanden sich vielfach Miststätten,vor denen der Fleischer sah man Blutlachen und allerlei Unrat. Dazu sperrten Fuhrwerk, Bauholz, Steinhaufen die engen Gassen. Beider leichten Bauart der Häuser kamen oft Feuersbrünste vor. Eine Feuerwehr gab es noch nicht, aber, wenn bei Tag oder Nacht durch Stürmen oder Schreien ein Feuer gemeldet wurde,mußte jeder Einwohner sich mit Schöpfgefäßen, Feuerhaken, Leitern u.s.w. Einfinden und löschen helfen. Wer die erste Kufe oder den ersten Zuber mit Wasser brachte, erhielt wohl eine Belohnung. Straßenbeleuchtung gab es auch nicht. Wer nachts ausging, mußte selbst eine Laterne mitnehmen; bei besonderen Vorfällen, z.B. einer Feuersbrunst, mußten die Einwohner Lichter an die Fenster stellen. Zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit in der Nacht war eine Nachtwache eingerichtet, die Bürger waren verpflichtet, reium die Nachtwache zu halten und die Runde zu machen. Die Tore waren von Abends bis Morgen geschlossen; aller Verkehr nach außen hörte damit auf, und der Torwart ließ ohne besondere Erlaubnis niemand aus noch ein. Gab es einen Volksaufstand,so mußten sich die wehrhaften Bürger auf ein Glockenzeichen beim Rathaus einstellen und dem Bürgermeister Folge leisten. Auch waren sie der Herrschaft zum Kriegsdienst verpflichtet und hatten sich selbst zu bewaffnen undbei Heerfahrten zu verköstigen.
Den Mittelpunkt der Stadt bildete der Altmarkt; hier stand schon damals das Rathaus und in der Mitte des Platzes war ein Brunnen, in älteren Zeiten ein Ziehbrunnen, später ein hölzerner Röhrenbrunnen mit Ständer und Fischkasten. Im Rathause waren die Amtsräume für Bürgermeister und Rat. Der Rat war die städtische Obrigkeit, hatte daher das Recht, Stadtgesetze zu geben, mußte auf Ordnung halten, besonders auch Brotbacken, Fleischverkauf, Brauen, Bierschenken, überhaupt Kaufen und Verkaufen überwachen und konnte auch geringere Vergehen mit Geldbußen bestrafen.
Im Rathaus war auch der Ratskeller. Der Rat hatte allein das Recht, Wein zu verzapfen; dagegen konnten die Bürger, die ein Haus besaßen im städtischen Brauhaus eigenes Bier brauen und dieses auch ausschenken. Auf den umliegenden Dörfern durfte nur Greizer Bier verschenkt werden. Im Ratskeller, wo übrigens auch Bier verzapft wurde, verkehrten die Bürger viel; besonders lebhaft ging es an Markttagen zu, wo viele Landleute in die Stadt kamen.
Sonntag wurde hier auf Frieden gehalten; niemand durfte eine Waffe mitbringen, und alles Schimpfen, Zanken, Schlagen und anderer Unfug wurde ernstlich bestraft.Um 9 Uhr wurde Feierabend geboten und das Nachtsitzen war streng verpönt. Auf dem Marktplatz wurden die Märkte abgehalten. Seit Greiz zur Stadt erhoben war, besaß es das Marktrecht. Zuerst hatte es nur einen Wochenmarkt; später erhielt es auch das Recht, einen Jahresmarkt abzuhalten, im 16. Jahrhundert wurden es derer jährlich drei, nämlich am Pfingstdienstag, am Sonntag nach Kreuzerhöhung (14.September) und am Sonntag nach Allerheiligen (11.November) ; erst im Jahre 1700 wurden die Jahrmärkte auf Mittwoch verlegt.
Am Markttage wurden auf dem Marktplatze Verkaufsbänke oder Lauben errichtet; der Rat wies jeden Verkäufer seinen Stand an und erhob dafür von den Auswärtigen ein Stättegeld. Der Markt wurde durch Läuten der Rathausglocke eingeläutet, aber erst wenn der am Rathausbrunnen aufgesteckte Strohwisch entfernt war, durfte Kaufen und Verkaufen beginnen. Damit Käufer und Verkäufer den Markt sicher besuchen konnten, gewährte der Landesheer den Marktfrieden, d.h. er schützte die Besucher in der Stadt und auf den Landstraßen, wofür die Auswärtigen einen Zoll bezahlen mußten. Jeder Greizer Händler, Krämer und Handwerker war bei Strafe verpflichtet an Markttagen auf dem Markt feil zu halten. Ursprünglich hatten die Einwohner nur Ackerbau und Viehzucht getrieben. Auch später blieb besonders die Viehzucht ein Haupterwerbszweig der Bürger; denn wenn die Feldflur der Stadt auch klein war, so hatte sie doch ansehnliche Viehhuten, wie auf dem Zieger, an der hohen Reid, unter dem Brand, beim Glohdenhammer, auf dem und dem oberen und unteren Anger (Heinrichstraße), auf der Klatzsch (Webergasse) und der Lehmgrube.
Als aber Greiz zu einer Stadt erhoben war, begannen die Bürger auch Handwerk und Handel zu treiben. Da gab es Schneider, Schuster, Bäcker, Fleischer, Schmiede und andere Handwerker. Diese vereinigten sich zu Innungen oder Zünften.
Die Innungen hatten bestimmte Ordnungen und erhielten gewisse Rechte. An der Spitze jeder Innung stand ein Zechmeister (statt Innung sagte man auch Zeche). Dieser hatte Klagen über schlechte Arbeit und Ware zu untersuchen und konnte auch Geldstrafen verhängen. Wer das Handwerk ordentlich erlernt und ein Meisterstück geliefert hatte,war Meister. Die Gehilfen des Meisters hießen Gesellen oder Knechte. Ein Knecht, der bei einem Meister das Handwerk erlernte,war ein Lehrling; der Meister durfte aber nur fromme, d.h.ehrbare Knaben als Lehrlinge annehmen. Das Hauptvorrecht der Innung war, daß niemand weder in der Stadt noch auf den Dörfern ein Handwerk treiben durfte, wenn er nicht zur städtischen Innung gehörte. Um Ihre Ordnungen und Rechte zusichern, baten die Innungen den Landesherrn, sie zu bestätigen; die Bestätigungsurkunden heißen Innungsbriefe.
Der älteste erhaltene Innungsbrief ist der der Schuster-und Schneiderinnung vom Jahre 1479.
Zu jener Zeit waren die Bauern auf den Dörfern meist noch Hörige und hatten oft ihren Herren Frondienste zu leisten; aber „die Luft der Stadt macht frei“,d.h. wer in der Stadt wohnte, hörte auf ein Höriger zu sein. So waren auch die Greizer Bürger „Freie“ und besaßen auch das Hauptvorrecht der städtischen Freiheit, das Erbrecht. Sie durften ihre Habe ihren Kindern vererben oder auch anderen durch Testament vermachen; das Gut des Hörigen fiel dagegen bei seinem Tode ursprünglich ganz seinem Herrn zu, später erhielt dieser wenigstens gewisse bedeutende Erbstücke. Trotzdem blieben die Greizer Bürger zu einigen Frondiensten noch lange Zeit verpflichtet; sie mußten z.B. auf zwei Wiesen der Herrschaft hauen helfen, wofür jeder eine Kanne Bier, zwei Paar Fronbrote und zwei Käse erhielt, bei der Getreideernte, wenn ein Ungewitter eintrat, einfahren helfen und bei Schloßbauten Fuhren leisten. Ein besonderes Vorrecht der Bürger war dagegen die Fischgerechtigkeit. Sie durften nämlich im städtischen Fischwasser, das vom Stadtwehre stromaufwärts bis zur Pfarrfurt (an der Weitzeschen Fabrik) reichte, dreimal wöchentlich, nämlich am Mittwoch, Freitag und Sonnabend vormittags von 6 bis 12 Uhr fangen. Als sie für ihren Haushalt bedurften.
Greiz ist lange Zeit klein und arm geblieben, trotz der wohlwollenden Fürsorge der Landesherrschaft hob sich die Zahl und der Wohlstand der Bewohner nur langsam. Noch im Jahre 1830 war es nur wenig größer als die Schwesterstadt Zeulenroda und zählte nur etwa 5 500 Einwohner. Erst nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts und besonders seit den siebziger Jahren, als seine Wollwarenindustrie sich blühend entwickelte, erhob es sich rasch zu seiner jetzigen Bedeutung.
Quelle:
(Greizer Lesebuch, Kapitel 4, Nr. 312) Collmann