Das Wasser entsprang einer „Wunderquelle“ – Ein Blick in die Historie des Greizer Röhrenbrunnens
GREIZ. Den Röhrenbrunnen auf dem Kirchplatz kennt wohl jeder Greizer. Auch wenn der Brunnen längst an die städtische Wasserleitung angeschlossen ist, hat er es verdient, einmal etwas näher beleuchtet zu werden. Viele Jahre lang spendete er sein einst als heilkräftig gerühmtes Wasser aus der Quelle im Ortsteil Adelheid. Über ihr hatte man einst eine kleine Kapelle gebaut und der damalige Gasthof St. Adelheid war vielbesuchter Wallfahrtsort — bis ins 17. Jahrhundert hinein. Als dann, noch vor dem großen Stadtbrand von 1802, die Kapelle von Adelheid verfiel, kamen ihre Glocken nach Reinsdorf. Das gute Quellwasser aber führte man in einer hölzernen Rohrleitung zum Kirchplatz, wo damals nur die kirchlichen Gebäude, einige Häuser der Marktstraße und des damaligen Topfmarktes (Puschkinplatz) das Wasserrecht hatten. Erst nach 1848 wurde es freigegeben und wenige Jahre später wollte man beim Bau der städtischen Wasserleitung die der Adelheidquelle mit einfügen. Das wurde jedoch von Fürst Heinrich XXII. nicht genehmigt.
Was heute als Glücksumstand empfunden wird, denn in vielen harten Wintern, als die städtische Wasserleitung einfror, spendete der Röhrenbrunnen unentwegt sein Wasser und versorgte damit die Bevölkerung. Was wissen wir aber über unseren guten alten Röhrenbrunnen? Nicht viel mehr, als dass sein Wasser einer „Wunderquelle” entsprang, die in vor-reformatorischer Zeit Anlass gab zur Gründung einer Wallfahrtskapelle vor den Toren der Stadt Greiz, der sogenannten Adelheidskapelle. Bis zur Einführung der Reformation blühte auch in unserer Heimat die Heiligenverehrung. Diesen Heiligenkult der katholischen Kirche pflegte man in Wallfahrtskapellen, von denen es auch im Greizer Land einige gab (z. B. die Wallfahrtskapelle zu St. Jacobi im ehemaligen Rittergut Lunzig). Der Kapellenweg, der von der B 94 kurz vor dem Ortsteil St. Adelheid links abzweigt, führt an den einstigen Standort jener Wallfahrtskirche auf dem derzeitigen Wiesengelände am Fuße des Aschenpöhls. Man weiß nur wenig von ihr. Sie soll eine Ausdehnung von etwa 30 m x 15 m (?) gehabt und einen hohen Turm besessen haben. Schon kurz nach der Einführung der Reformation im Greizer Land wurde sie geschlossen, und 1723 sollen von ihr noch „ein aufgethürmter Steinhaufen und ein baar alte Mauern” vorhanden gewesen sein. Die ältesten Schönfelder erinnerten sich in damaligen Gesprächen noch, dass um die Jahrhundertwende ein Torbogen und ein Teil der Umfassungsmauern zu sehen waren. Die Schönfelder Bauern werden im Lauf der Zeit sicher die alte Kirchenruine Stein um Stein abgetragen haben, bis jede Spur von ihrer ehemaligen katholischen Kultstätte verschwunden war. Mancher Grundstein alter Schönfelder Bauernhäuser könnte vielleicht Zeugnis ablegen von seiner Herkunft, der St. Adelheidskapelle.
Mit ihrer Zerstörung hatte man der „teuflischen Abgötterei der Wallfahrt” in unserer Gegend ein Ende bereitet. Kein Bild ist uns von der alten Kapelle überliefert. Ein kleines Ölgemälde im Besitz einer Familie in St. Adelheid — von einem verstorbenen Thalbacher Einwohner gemalt — kann leider keinerlei Anspruch auf urkundlich belegte Echtheit über das Aussehen des Bauwerkes erheben. Auch Postkarten davon sind im Umlauf. Eine der drei „silbernen” (?) Glocken kam nach Greiz, die beiden anderen nach Reinsdorf. Bis 1896 lagerten sie mit Heiligenbildern und anderen kirchlichen Ausstattungsgegenständen auf dem Kirchenboden, wo sie einem Brand zum Opfer fielen. Das Kapelleninnere soll mit großer Pracht und vielen Heiligenbildern ausgestattet gewesen sein. Bei der Schließung der Kapelle habe man eine Menge zurückgelassener Krücken von angeblich Geheilten und Körbe, gefüllt mit Zähnen von Zahnkranken, vorgefunden. Die Quelle mit den „heilkräftigen Thränen der hl. Adelheid” habe vor dem Altar gesprudelt. Hunderte von Heilung suchenden Kranken von nah und fern pilgerten jährlich zu dieser „wundertätigen” Quelle und erhofften von ihrem Wasser das „große Wunder” der Genesung. So weit die Historie und die mündliche Überlieferung von der Adelheidskapelle. Eines wissen wir auch vom Röhrenbrunnen nicht: das Jahr seiner Entstehung, sein Alter. Eine große Berliner Tageszeitung wusste vor rund fünfzig Jahren ihren Lesern zu berichten, „dass auch der 700 Jahre alte Röhrenbrunnen restauriert wurde”. Für ein solches respektables Alter unseres Brunnenveteranen gibt es jedoch keinen Beweis. Da ein Greizer Stadtplan von 1744 den Röhrenbrunnen an seiner jetzigen Stelle noch nicht verzeichnet, darf man annehmen, dass das Schönfelder Quellwasser erst nach dieser Zeit ins Stadtgebiet geleitet wurde.
Die Leitung lag in ziemlicher Tiefe (1,80 m) und bestand noch aus den alten eichenen Holzröhren mit einer lichten Weite von nur 50 mm. Der Verlauf des Röhrenwassers war folgender: Nachdem das Wasser einer Hangquelle auf der sog. Wasserwiese am Südfuß des Aschenpöhls entspringt, sammelte es sich in einem rundgemauerten Brunnenschacht von ca. 2,50 m Tiefe bei einem damaligen Wasserstand von etwa 1,50 m und floss nach einem dicht dabei befindlichen Sammelbehälter. Ein Überlauf ergoss sich in ein direkt am Brunnen liegendes gemauertes Wasserbassin (ca. 4,00 m x 2,00 m). Ein Wasserschlauch leitete einen Teil des Überlaufs ab zum Treiben eines kleinen Wasserrades. Im weiteren Verlauf folgte die Leitung dem unteren Teil des Schönfelder Baches in Richtung Grünstraße — Friedrich-Ebert-Straße — Mühlgasse — linke Seite der Oßwaldstraße — überquerte die untere Genossenschaftsstraße — folgte dem östlichen Bürgersteig der Brauereistraße — nahm Richtung auf das Trafogebäude — Reichenbacher Straße — und führte unter dem linksseitigen Bürgersteig der August-Bebel-Straße zum Dr.-Rathenau-Platz. Hier überquerte die Leitung die Untertunnelung der Gräßlitz, nahm Richtung auf die Dr.-Scheube-Straße und endete auf dem Kirchplatz. Bis zur Inbetriebnahme der Greizer Wasserleitung am 1. Oktober 1879 war unser Röhrenbrunnen der größte öffentliche Brunnen im Stadtgebiet und mit seinem guten Trinkwasser für die Wasserversorgung der Stadtbevölkerung von nicht geringer Bedeutung. Damals besaß eine Reihe von Häusern auf dem Markt, am Kirchplatz und auf der Marktstraße ein auf den Röhrenbrunnen — in den Akten bezeichnet man ihn als „Schlossbrunnen” — lautendes Wasserrecht. Vordem schöpften die Greizer ihr Wasser aus Hausbrunnen („Pflumpfen”) oder aus der noch nicht verschmutzten Elster. Der Röhrenbrunnen war damals der Treffpunkt der Greizer Hausfrauen, Mägde und Dienstmädchen. Hier tauschten sie Neuigkeiten und Heimlichkeiten, hier sprudelte auch der Stadtklatsch.
Da stand das junge Volk mit Holzeimern und dem Tragholz über Nacken und Schultern, andere mit großen Zubern, die an zwei seitlich befestigten Stangen zu zweit getragen wurden. Es war keine leichte Arbeit, die wogende Wasserlast sicher nach Hause zu bringen. Das Tragen der hohen Butten, die man mit Tragriemen auf dem Rücken trug, erforderte großes Geschick und einen gut abgewogenen Schritt. Wem das nicht gelang, dem schwappte das kalte Nass in den Nacken. War die Wassermenge, die der Röhrenbrunnen schüttete, auch nicht bedeutend – je nach Niederschlag 24-40 m³ täglich, so erwies er sich schon oft in Zeiten der Trockenheit oder großer Kälte als Retter in der Not. Vielen älteren Greizern war er ja noch in Erinnerung, dass er selbst in den Februartagen 1929, als viele Hausanschlüsse bei Kältegraden um 30 °C eingefroren waren, vor schlimmem Wassermangel bewahrte. In jenen Zeiten, als der Benzin-oder Dieselmotor noch nicht den „Hafermotor” aus dem Greizer Stadtbild verdrängte, pflegten die Geschirrführer ihre Zugpferde hierher an den Brunnen zu führen und ließen sie einen erfrischenden Trunk nehmen. Der kleine steinerne Wassertrog zu ebener Erde am rückwärtigen Teil der achteckigen, granitenen Brunnenfassung zeugte von der Tierliebe der alten Greizer. Wenn früher an Markttagen die Fleischer und Krämer mit ihren Hundewagen nach Wareneinkauf vom Fleisch- und Buttermarkt heimwärts fuhren, ließen sie ihre Zughunde hier an der Tränke kurz verweilen und sich am Röhrenwasser laben. Oft plantschen die Greizer Buben im Brunnenbecken oder ließen ihre gebastelten Schiffchen Probe fahren. Aber auch Einheimische und Fremde pilgerten mit Kannen, Eimerchen und Plastegefäßen Tag für Tag zum sprudelnden Quell; nicht, um sich von seinem Wasser Heilung von allerlei Gebrechen zu holen, sondern aus seinem wohlschmeckenden, ungechlorten Wasser den vorzüglichen Original-Greizer-Qualitätskaffee Marke „Adelheids-Quelle” zu brauen. Sogar auswärtige Kraftfahrer sollen zuweilen eine Kanne echt Greizer „Adelheids-Brunnen” für ein Schälchen „Heeßen” ins Land der kaffeekundigen Sachsen als Mitbringsel ausgeführt haben. So bekannt war unser guter, alter Röhrenbrunnen mit seinem schlichten, aus Lärchenholz gerichteten Brunnenstock und den von heimischer Handwerkskunst zeugenden, aus Kupferblech getriebenen vier Delphinen über seinen vier Kupferröhren.
Quelle: Greizer Heimatbote 10/1964
Antje-Gesine Marsch @16.01.2019
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