Die Psychologie der Erbtante von Erich Mühsam - Holger Elias in der Greizer BibliothekHolger Elias las vor zahlreichen Interessierten in der Greizer Bibliothek aus Erich Mühsams Buch "Die Psychologie der Erbtante".

„Die Psychologie der Erbtante“ von Erich Mühsam – Holger Elias in der Greizer Bibliothek
GREIZ. Was haben Tante Amalia, Tante Bertchen und Tante Henriette gemeinsam? Es sind allesamt Erbtanten, die von ihren Neffen und Nichten abgöttisch verehrt werden. Man kümmert sich liebevoll um sie, harrt geduldig an ihrem Kaffeekränzchen aus, hört sich ihre Gedichte an und schielt doch immer nur auf das Vermögen. Doch man harrt und schielt vergebens. Denn zu den primären Charaktereigenschaften aller Erbtanten zählt das Nicht-Sterben. Wenn das letzte Stündlein der Erbtante dann doch erwartet oder plötzlich kam, klappte es in den 25 vorgestellten Fallbeispielen mit dem Erben auf tragische Art dann doch nicht.
Am Donnerstagnachmittag fanden sich zahlreiche Interessierte in der Greizer Bibliothek ein, um von Holger Elias in die Psychologie der Erbtante eingeführt zu werden. Der in Rudolstadt lebende Schauspieler, Regisseur und Verleger des Verlages Der neue Morgen las aus Erich Mühsams gleichnamigem Buch und vermochte die Gäste eine gute Stunde lang zu fesseln. Akzentuiert und mit reichlich Mimik und Gestik versehen schilderte er, wie schwer es ein Erbneffe, wahlweise auch eine Erbnichte haben, bis die geliebte Erbtante endlich die Augen für immer schließt. Dass in allen Fällen die Erbschaft doch nicht klappte, liegt in der Tragik der Ereignisse und erheiterte trotzdem ungemein. So etwa Tante Henriette, die entweder malte oder schlief und ihre mit dem Pinsel während der Schlafphase geschaffenen Horizontalstriche als kosmische Wanderung in Lila ausgab. Oder Tante Bertchen, die Neffe Emil mit letzter Kraft enterbte, genau wie Tante Amalie, die das per Lotterie gewonnene und bei der Firma Truggold GmbH eingelegte Geld von heute auf morgen verlor und somit die Erben mittellos zurückließ.
Den Schriftsteller Erich Mühsam auf seinen anarchistischen Hintergrund zu reduzieren und dabei sein übergroßes literarisches Talent zu vernachlässigen darauf wirkte Holger Elias imponierend ein, der sich tiefgreifend mit dem Leben Mühsams beschäftigte und mit dessen Werken oft auf Lesereise ist.
Mit unveröffentlichten Tagebucheintragungen von Erich Mühsam aus dem Jahr 1914, die besser als jede Biografie über den Literaten aussagen, stimmte Holger Elias auf den Nachmittag ein.
Mühsam, der am 6. April 1878 in Berlin geboren wurde, war maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde und nach fünf Jahren im Rahmen einer Amnestie freikam. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und am 10. Juli 1934 von der SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet. Er war ein Anarchist und großer Humanist, wie ihn Holger Elias beschrieb.
Und ein heiterer Schöngeist mit kunstreicher Wortwahl möchte man dabei fast noch ergänzen. Nach dieser höchst vergnüglichen Stunde war wohl jedem der Anwesenden klar, dass Erben doch alles andere als erstrebenswert ist.
Bibliothekschefin Corina Gutmann bedankte sich herzlich bei Holger Elias und kündigte bereits weitere Lesungen mit ihm an.

Antje-Gesine Marsch @28.02.2013