LOTTO Thüringen Ladies Tour- Siegerin Kathrin Hammes.LOTTO Thüringen Ladies Tour- Siegerin Kathrin Hammes. Foto: Arne Mill

Als Lottospieler braucht man pures Glück, als Profi-Rennfahrerin auch davon ein bißchen, na klar, vor allem aber Können und Willenskraft. Es wurde viel verlangt auf 6 anspruchsvollen Etappen, die an geographisch unterschiedlichen Punkten des Freistaates Thüringen durch sanfte, anmutige, sattgrüne und abwechslungsreichen Landschaften rollte. Die rund 550 km lange Gesamtstrecke erforderte wegen der vielen Anstiege eine sehr gute athletische Form und wegen der vielen Kurven auch perfektes Steuervermögen von den Rennfahrerinnen. 119 standen am Start, aus 19 Teams und 17 Nationen. Die Siegerin der letzten beiden Jahre, Lisa Brennauer, hatte das Ziel verkündet, den Hattric anzustreben, und zwar gegen Konkurrenz der Weltklasse. Internationale Champions, nationale Titelträgerinnen und jede Menge Fahrerinnen, die sich zur Geltung bringen wollten bei dieser renommierten LOTTO Thüringen Ladies Tour.
Die beiden aktuelle Europameisterinnen Marta Bastianelli aus Italien (Schleiz) und Ellen van Dijk aus den Niederlanden (Meiningen) gewannen je eine Etappe, die norwegische Landesmeisterin Vita Heine war (überraschend) bei der Bergankunft in Dörtendorf vorn, Lisa Klein erkämpfte in Gotha den einzigen deutschen Etappensieg.
Das Rennen nahm in diesem Jahr einen eher kuriosen Verlauf. Auf dem ersten Tagesabschnitt Rund um Gera setzte sich sofort nach dem Start eine 11köpfige Spitzengruppe ab, die zum großen Erstaunen aller Experten und Beobachter knapp 7 min Vorsprung herausfuhr und bis ins Ziel hielt, bis auf die Juniorin (!) Friederike Stern, die zurückfiel. Den Sprint bergauf zum Marktplatz Gera unter einem Regenguß gewann Barabara Guarischi (ITA, Virtu), aber nur hauchdünn vor der Deutschen Kathrin Hammes (WNT Rotor), die im letzten Jahr Bergkönigin der Thüringen Tour war. Nach dieser Sensation dachte man unwillkürlich an den Abzählreim: 10 schöne Fahrerinnen, die hatten eine Chance… War die Gesamtwertung schon gelaufen? Wie viele Mitglieder der Fluchtgruppe würden ihren Vorsprung bis zum letzten Zielstrich in Altenburg halten?
Auf der 2. Etappe schon büßte Guarischi an einem Anstieg der 2. Kategorie mehr als 4 min ein und mußte Gelb abgeben. Da waren’s nur noch 9… Kathrin Hammes durfte das LOTTO-Trikot überstreifen, war total glücklich, aber auch ein bißchen perplex: „Das ist mein erstes Spitzenreiter-Trikot! Auch in den Nachwuchsrennen hatte ich keins. Da war ich noch nicht soweit…“ Die im Längenmaß eher kleine Fahrerin, der man aber den Typ mit einem großen und zähen Willen ansieht, wollte von Sekunde an dieses Trikot verteidigen und war sich der Hilfe ihre Kolleginnen sicher.
Als am nächsten Tag Vita Heine (NOR, Hitec) die Kletterpartie auf den Hanka-Berg vor Liane Lippert (DEU, Sunweb) gewann, fielen zwei weitere der Heldinnen des ersten Tages aus den Top 10. Da waren‘s nur noch 7… Hammes blieb vorn. Und cool.
In Gotha, wo Lisa Klein (Canyon//Sram) für den ersten deutschen Etappensieg sorgte, kam erneut ein geteiltes Feld an und Kathrin Hammes hatte wieder eine Verfolgerin weniger. Da waren’s nur noch 6… Auch Beate Zanner (Maxx-solar LINDIG) gehörte immer noch dazu. Sie hatte auf der ersten Etappe in ihrer Heimatstadt Gera das Bergtrikot erobert und nach dem zweiten Tag sogar auf Position 2 der Gesamtwertung gelegen. Sie kämpfte aufopferungsvoll, um in der Nähe des Podiums zu bleiben. Für die 36jährige Fahrerin, die aus einem Bundesliga-Team kommt und unter der Woche „normal“ arbeiten geht, ist das ein gewaltiger Erfolg, der vom Publikum täglich mit besonderem Beifall belohnt wurde. Bis zur 4. Etappe verlor Beate nur einige Sekunden, aber vor dem Zeitfahren über 18 km in Meinigen hatte sie ein bißchen Bammel. Sie büßte dann zwar mehr als 4 min ein, rutschte aber in der Gesamtwertung nur um eine Position nach unten auf Rang 5.
Die beiden schnellsten bei der Sekundenjagd mit Start und Ziel auf dem Marktplatz von Meiningen waren Ellen van Dijk und Lisa Brennauer, die sich damit auch im Klassement weit nach vorn schoben, aber die beiden Spitzenreiterinnen nicht mehr gefährden konnten. Das Duell zwischen Pernille Mathiesen (Sunweb) und Kathrin Hammes war der Spannungshöhepunkt des Tages: Die Dänin legte eine Superzeit vor (4. der Etappe), aber Kathrin verlor nur 3 sec und bewahrte einen hauchdünnen Vorsprung von 8 sec insgesamt. Sie war zuvor nicht als eine der besten Zeitfahrerinnen bekannt, zeigte aber im Rennen eine große kämpferische Leistung und wuchs über sich hinaus. Lisa Brennauer, die vorher den Kurs mit ihr „studiert“ hatte kommentierte mit der lakonischen Bemerkung: „Da sieht man’s wieder – die Wirkung des gelben Trikots.“
Aus der Zehner-Gruppe fiel im Zeitfahren wieder eine zurück, da waren’s nur noch 5… Doch von denen war nur noch eine tatsächlich in der Lage, Hammes vom Thron zu stoßen: Mathiesen. Schon mit einem Teil der maximal möglichen 19 Bonus-Sekunden bei Zwischensprints und Zielankunft hätte sie ihre 8 sec Rückstand aufholen können. Aber ihr Team schien einem anderen taktischen Plan zu folgen. Eine der zwei Sunweb-Fahrerinnen in der Spitzengruppe war die Sprinterin Coryn Rivera, die wohl den ersehnten Etappensieg holen sollte. Es wurde wieder „nur“ ein Podiumsplatz. „Vielleicht ist Coryn zu leicht für das Kopfsteinpflaster. Mir liegen diese technisch schwierigen Ankünfte“, strahlte die Italienerin Elena Cecchini (Canyon//Sram). „Ich freue mich über diesen klaren Erfolg und bin auch froh über den zweiten Sieg meines Teams. Und es liegt nicht nur am Resultat des Tages, wenn ich dem Organisationsteam ein Kompliment für die schöne Rundfahrt mache. Ich liebe dieses Rennen.“
Kathrin Hammes strahlte vor dem Start eine ziemliche Gelassenheit aus und zeigte auch während des Rennens keinerlei Nervosität. „Eine Spitzengruppe in dieser Zusammensetzung war eigentlich unsere liebste Variante. Dadurch fiel es meinen Kolleginnen leichter, die Verfolgung zu kontrollieren. Das haben Lisa und alle anderen absolut clever gemacht.“ Ein Sieg mit großer Bedeutung. Kathrin bestätigte ihre Fähigkeit, auch eine bisher unbekannte Rolle im Team zuverlässig auszufüllen. Die Anwesenheit in der Spitzengruppe des ersten Tages machte sie zum Kapitän. Sie mußte Verantwortung übernehmen und bisher ungewohnten Druck aushalten. Sie schaffte das in ihrer stillen, aber zuverlässigen Art. Sie war am Ende die beste von den 10 Ausreißerinnen des ersten Tages, sie ließ sich als einzige die ungeahnte Chance nicht entgehen und krönte ihre bisherige Laufbahn. Das brachte auch der langjährigen Renndirektorin Vera Hohlfeld eine neue Erkenntnis: „Ich glaube, es tut dem Ansehen des Rennens gut, wenn bei dieser Super-Klasse am Start eine Fahrerin gewinnt, die bisher nie Kapitän war. So viele Favoritinnen wurden aufgezählt, aber eine Fahrerin hat gewonnen, die bisher als
mannschaftsdienliche Helferin eingestuft wurde. Das motiviert doch aufstrebende Fahrerinnen aus der zweiten Reihe oder dem Nachwuchs. Insgesamt bin ich natürlich froh, daß die LOTTO Thüringen Ladies Tour ohne Unfälle zu Ende ging und alle im wesentlichen unversehrt nach Hause fahren. Die Vorbereitung dieser speziellen Ausgabe war ein bißchen Neuland für mich, weil ich mich diesmal tiefer in detaillierte Organisationsprozesse knien mußte. Nun bin ich froh, daß von mehreren Seiten das Lob kam, diese Rundfahrt habe in der Qualität noch mal zugelegt. Da bin ich sehr stolz auf unser Team.“
Ihre Anhänglichkeit zu dieser sportlich hochkarätigen Tour mit dem familiären Flair bestätigten ähnlich wie Elena Cecchini viele andere Fahrerinnen oder Betreuer. Alle sagen automatisch: Auf Wiedersehen!

Von Leserpost