Vielleicht ist Heimat ja nur ein Stück Hautv.l. Bettina Wegner, Karsten Troyke, Heike Taubert und Sergej Lochthofen.

25 Jahre Deutsche Einheit – Von Deutschland nach Deutschland – Musik und Gespräch auf der Studiobühne der Vogtlandhalle Greiz
GREIZ. Die Sehnsucht von Bettina Wegner nach dem Land, in dem ihre Wurzeln stecken, hielt sich lang. „Mir wurden sie ausgerissen“, sagte Deutschlands bekannteste Liedermacherin, die 1983 aus der DDR hinauskomplimentiert wurde. „Ich stand vor der Alternative: erneute Haft oder Ausreise in den Westen.“ Sie ging damals schweren Herzens.
Bettina Wegner gehörte am Dienstagabend zu den Gästen der Veranstaltung „Von Deutschland nach Deutschland – 25 Jahre Deutsche Einheit“, die auf der Studiobühne der Vogtlandhalle Greiz stattfand.
Wie begleiteten Kunst und Religion den Weg der friedlichen Revolution? Legte die Zivilcourage der Opposition den Grundstein für Freiheit und Demokratie? Ist in den letzten 25 Jahren wirklich zusammengewachsen, was zusammen gehört? Was soll in 25 Jahren sein? Diese und andere Fragen stellte Moderator Sergej Lochthofen Thüringens Finanzministerin und Stellvertretenden Ministerpräsidentin Thüringens, Heike Taubert (SPD); Oberpfarrer i.R. Roland Geipel aus Gera; Marie-Theres Mayer, Juso-Vorsitzende des Kreisverbandes Greiz; sowie Musiker/Schauspieler Karsten Troyke und Bettina Wegner.
So unterschiedlich die Lebensläufe und Professionen der einzelnen Gäste anmuten – jeder brachte seine ganz eigenen Erfahrungen aus dem DDR-System mit.
Gesprächsgast Roland Geipel absolvierte eine Lehre zum Schlosser, ging in den Westen, arbeitete bei VW, bevor er sich Jahr 1964 entschied Pfarrer zu werden und Theologie zu studieren; 1969 siedelte er „der Liebe wegen“ in die DDR zurück und avancierte zum Motor der kirchlichen Friedensbewegung. In der Wendezeit agierte er als Impulsgeber und Verhandlungspartner. Als sich 1989 die Ereignisse auch in Gera überschlugen, gründete Geipel im Dezember das Geraer Bürgerkomitee. Seinem Verhandlungsgeschick war es zu verdanken, dass die gewaltsame Stürmung der Stasi-Zentrale durch Bürger verhindert wurde. Das Bettina-Wegner-Lied „Kinder“ habe ihn betroffen gemacht, vor allem die Liedzeile „Menschen ohne Rückgrat, hab’n wir schon zuviel“. An eine „Zukunft der DDR“ habe er schon damals nicht geglaubt:“Die Pleite war vorhersehbar.“ Er zeigt sich zuversichtlich, dass das Positive in diesem neuen Deutschland anhält; hofft aber, „dass nichts mehr in den Waffenhandel investiert“ wird. „Friedfertigkeit ist das oberste Gebot“, so Roland Geipel. Wünschen würde er sich zudem, dass die Mittel zur Förderung und Bewahrung von Kunst und Kultur nicht gekürzt werden und die Auseinandersetzungen zwischen den Mächten „im Sinne der Völker“ endlich beendet werden.
16 Jahre war Karsten Troyke alt, als er die Biermann-Ausbürgerung miterlebte. „Danach fühlte ich mich in diesem Land nicht mehr wohl.“ „Die Auslösung eines Sprengsatzes“, wie auch Sergej Lochthofen befand. Nach einer Gärtnerlehre und einigen Jahren im sozialen Dienst mit behinderten Kindern wechselte Troyke das Genre und widmete sich fortan seinen künstlerischen Programmen, wobei es vor allem die jiddischen Lieder sind, denen er sich mit Herz und Seele verschrieb. Dass es „weniger Verbote“ gebe und nicht alles „reglementiert“ wird, nannte Karsten Troyke als Wunsch.
Thüringens Finanzministerin Heike Taubert, 1958 im sächsischen Reichenbach geboren, studierte Informatikerin und seit 2004 Mitglied des Thüringer Landtags, zählt sich persönlich zu den 80 Prozent statistisch Erfassten, die sich als „Gewinner der Wiedervereinigung“ bezeichnen. Sich dabei nicht von der Familie und Freunden zu entfernen, sondern mit Menschen zu treffen und zu unterhalten, nannte sie als Rezept für ein erfülltes Politikerleben. Freunde und Familie würden auch dafür sorgen, dass man als Mensch in dieser Position nicht abhebt und den Habitus kritisch reflektieren, so Heike Taubert schmunzelnd. „Ich hätte Sie niemals für eine Politikerin gehalten“, so Bettina Wegner in Richtung der stellvertretenden Ministerpräsidentin. „Das ist ein Kompliment“, setzte die Liedermacherin nach und erntete dafür von den Gästen Applaus.
Die Jüngste in der Runde war Marie-Theres Mayer, die 2011 in Greiz ihr Abitur ablegte und derzeit in Erfurt studiert. Sie kennt die DDR-Geschichte lediglich aus den Erzählungen ihrer Eltern. „Ich kann mir die Zeit kaum vorstellen“, wie sie gestand. In der Schule fand sie die Historie dieses Staates eher „uninterssant für die Schüler aufgearbeitet.“Die Frage Sergej Lochthofens, ob sie sich „ostdeutsch“ fühle, bejahte sie. Auch warum sie als „junge, kluge Frau“ noch immer hier sei, wusste sie zu beantworten: „Es ist die Liebe zu meiner Heimat, hier leben meine Familie und meine Freunde.“Ein „freies solidarisches Europa ohne Grenzen“ und dass man die Politik als Bürger wieder ernster nehmen solle, waren ihre Wünsche.
Der Kontakt zum Publikum war „hüben und rüben“ gleich“, konnte Bettina Wegner aus der Erfahrung heraus konstatieren. Das Publikum sei ähnlich: „Zu mir kommen keine Leute, die rufen ‚Ausländer raus‘!“, so die 1947 in Berlin-Lichterfelde geborene Liedermacherin. „Es sind Menschen, die sich wund gerieben haben.“ Als „perversen Dreck“ bezeichnete sie die Casting-Shows, die derzeit die Fernsehkanäle überschwemmen. Es seien durchaus „Talente mit Stimme und Aussage“ dabei, doch denen fehle das Podium. Unter dem Lächeln der Gäste erzählte sie von der Enttäuschung, als sie das erste Mal im Fernsehen die „Hitparade der Volksmusik“ sah. Sie, die das deutsche Liedgut liebt und hegt, sah sich mit „zwei dicken Herren“ konfrontiert, die „Herzilein“ sangen. Was sie immer wieder extrem berühre: Die Lieder, die sie vor dreißig oder sogar vierzig Jahren schrieb, seien heute aktueller denn je. Bettina Wegner ist noch immer die vitale, zarte Frau, die in ihren Liedern gegen alles Leid und Unrecht der Welt gesungen hat – auch, wenn sie sich seit 2007 offiziell nicht mehr als Sängerin bezeichnet und ihre Auftritte rar sind. Poetisch, beseelt, anrührend, ausdrucksstark wie eh und je interpretierte sie „Von Deutschland nach Deutschland“, „In einem kühlen Grunde“, „Im Niemandsland“ oder „Die Rose“, solistisch oder gemeinsam mit Karsten Droyke, der ihr mehr als ein würdiges Pendant war. Dass es nichts im Leben gibt, was nicht politisch ist, betonte sie einmal mehr. Solange der Staat Mitverdiener am Krieg ist, trage er auch eine Mitverantwortung für die Flüchtlinge, so die Künstlerin. „Wohlstands-Verlust-Angst“ nannte Heike Taubert als Argument dafür, dass sich, vor allem in Sachsen, Tausende gegen die Flüchtlinge auflehnen. In 25 Jahren würde Bettina Wegner gern in einem „solidarisch, liebevollen, freundlichen, respekvollen Miteinander“ leben. „Alle Waffen gehören verboten“, so ihre Botschaft. Heike Taubert sieht sich aktiv im Ehrenamt engagiert. Wünschen würde sie sich, dass die „Enthemmung eingedämmt“ wird, vor allem in den sozialen Netzwerken.
Dass es noch „viele Baustellen in unserem Land gibt“, resümierte Sergej Lochthofen abschließend. Dabei blieben viele Fragen offen, vieles unausgesprochen. Eines löste die Diskussionsrunde auf jeden Fall aus: Ein Nachdenken über Deutschland. Jeder aus seiner Perspektive.

Antje-Gesine Marsch @23.09.2015