Jürgen GrässlinDer Rüstungsgegner Jürgen Grässlin referierte im vollen Festsaal des Unteren Schlosses - Aufkleber der Aktion Aufschrei

Beängstigender geht es wohl nicht: Dass Banken und Konzerne vom Waffengeschäft profitieren, ist nichts Neues.
GREIZ. Wie tief aber auch die große Politik darin verstrickt ist, konnte man am Dienstagabend zur Veranstaltung Prominente im Gespräch im Weißen Saal des Unteren Schlosses erfahren. Wer entscheidet letztendlich über Waffenlieferungen? Der Bundessicherheitsrat hinter weitgehend verschlossenen Türen. Es gibt wohl niemanden, der sich in der Materie der Waffendeals besser auskennt als er: Jürgen Grässlin, der bekannteste Rüstungsgegner Deutschlands, der an diesem Abend sein 624-seitiges „Schwarzbuch Waffenhandel“ präsentierte. Selbst verfeindete Staaten werden beliefert, wenn eine Dame und neun Herren in geheimer Runde entscheiden, so Grässlin. Wenn Kriege losgehen, verdient Deutschland und da ist es egal, ob man beispielswiese in Libyen die Rebellen, die Diktatur oder die NATO beliefert. Nach Franz-Josef Strauß habe Helmut Kohl die meisten Waffenexporte zu verantworten. Die rot-grüne Regierung danach senkte den Export von 683 Mio. Euro auf 318 Mio. Euro, um nach dem 11. September 2001 unter dem Duktus uneingeschränkter Solidarität diese Summe in 5 Jahren auf 1,2 Mrd. Euro im Jahr 2011 zu verfünffachen. Gerhard Schröder sei so zum Kanzler der Rüstungskonzerne geworden. Wie Grässlin ausführte, sei Deutschland hinter den USA und Russland der drittgrößte Rüstungslieferer der Welt, das entspricht neun Prozent aller weltweiten Exporte: Die Rüstungsindustrie schwimmt im Geld, währenddessen politisch suggeriert werde gerade im Bereich der Bildung, in der er als Pädagoge tätig ist dass es in Deutschland finanziell schlecht aussehe. Mit unglaublicher Exaktheit blickt Jürgen Grässlin hinter die Kulissen der Politik, der Konzerne und Banken. Wenn es darum ginge, Profite zu erzielen und sich zudem die ökonomisch-politische Vormachtstellung in Europa und der Welt auszubauen, würden sie alle an einem Strang ziehen. Der Publizist nennt dazu auch die größten Waffenfabrikanten Deutschlands, zum Beispiel EADS, Rheinmetall oder die Daimler AG. Besonders die Firma Heckler&Koch nahm Jürgen Grässlin kritisch unter die Lupe. Der Konzern unterhalte enge Beziehungen nach Saudi-Arabien, wo mittlerweile durch die Lizenz deutsche Sturmgewehre selbst produziert werden. Seit dem Jahr 1961 habe Deutschland tödlichste Firma den Tod von 2 Millionen Menschen zu verantworten, das seien 114 an jedem Tag. Grässlin ließ aber auch wissen, dass die sogenannten Kleinwaffen, also Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Pistolen, deren 76-Millionen-teuren Export Berlin im vergangenen Jahr zugestimmt hat, die Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts sind. In einer vom DRK erarbeiteten Statistik gehe man bei 100 Opfern von 63 Menschen aus, die mittels Gewehr getötet wurden. Die Rüstungskonzerne und Zulieferbetriebe, darunter auch die Jenoptik, bezeichnete der Referent als die klassischen Kriegsprofiteure. Auch die Banken, allen voran die Deutsche Bank, unterstütze die Rüstungsindustrie jährlich mit einer Summe von 6 Mrd. Euro. Nicht zu fassen, ich bin mehr als erschüttert, sagte Peter Brunnert aus Plauen, der zur Veranstaltung nach Greiz kam. Wir sind nicht schutzlos ausgeliefert, setzte Jürgen Grässlin am Ende der zweistündigen Veranstaltungen dennoch ein Hoffnungszeichen. Längst haben sich Menschen organisiert, die sich diesem Spuk entgegenstellen. Die Aktion Aufschrei Stoppt den Waffenhandel setzt sich für ein Rüstungsexportverbot ein, und dafür, dass der Artikel 26 des Grundgesetzes – (1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. (2) Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz – geändert wird und Rüstungsexporte generell verboten werden. In gut drei Wochen ist Bundestagswahl, fordern sie von den Kandidaten Ihres Wahlkreises eine Stellungsnahme zu diesem Thema, ermunterte Grässlin die Gäste. Auch eine Aktie der Konzerne zu kaufen, mache durchaus Sinn. Ich besitze drei Stück, so der Rüstungsgegner. Eine der Deutschen Bank, eine der Daimler AG und eine der EADS. Das befähige ihn, der durch den Kauf gleiches Recht wie Großaktionäre genieße, sich als Kritischer Aktionär zu engagieren. Jenoptik habe noch keine, so Grässlin augenzwinkernd. Auch die beliebten Argumente Arbeitsplätze, Wenn wir nicht liefern, liefern die anderen und Eine Waffe ist doch neutral, es kommt doch immer darauf an, wie man sie benutzt, würden beim näheren Beleuchten wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Gerade 80000 Beschäftigte stünden in der deutschen Rüstungsindustrie in Lohn und Brot. Wer den Profit über Menschenleben stellt, macht sich moralisch und ethnisch mitschuldig am massenhaften Tod unschuldiger Menschen, wie es auf Seite 552 des Bestsellers heißt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Eine musikalische Premiere konnten die Gäste an diesem interessanten Abend auch erleben: die Modern-Jazz-Formation Jailbreak mit Rudolf Ruby Kuhl (sax), Peer Salden (sax), Harald Seidel (Bass), Ronny Kerl (E-Gitarre) und Gerd Wittig (drums) stellte sich erstmalig dem Publikum vor.

Antje-Gesine Marsch @27.08.2013