"Zwischen Anpassung und Widerspruch - ein Leben in der DDR"Der Bundesbeauftragte Roland Jahn, für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)

Schön und furchtbar zugleich
BStU-Beauftragter Roland Jahn spricht vor Greizer Gymnasiasten über Anpassung und Widerspruch in der DDR

GREIZ. Das Thema Aufarbeitung der DDR-Geschichte polarisiert die Menschen. Die einen sagen, sie wollen kein Wort mehr davon hören, die anderen meinen, zu schweigen sei der Anfang von Verklärung und Verharmlosung. Das sagte der Schulleiter des Ulf-Merbold-Gymnasiums, Jens Dietzsch zu Beginn der Veranstaltung, die am Mittwoch gemeinsam von der Greizer Bibliothek und der BStU-Außenstelle Gera organisiert und durchgeführt wurde. Anwesend waren neben Oberstufenschülern auch die Landrätin des Landkreises Greiz, Martina Schweinsburg (CDU), sowie Marcus Morbach von der Sparkasse Gera-Greiz und Ingeburg Scheibe von der BStU-Außenstelle Gera. Prominenter Referent des Vormittags war Roland Jahn, der Bundesbeauftrage für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Ingeburg Scheibe ging zunächst auf die Biografie von Roland Jahn ein: Geboren im Jahr 1953 in Jena, nahm er 1975 ein Studium der Wirtschaftswissenschaften auf, wurde aber 1977 exmatrikuliert. 1982 sperrte man Roland Jahn ein, musste ihn aber auf Grund internationaler Proteste wieder freilassen, was wiederum seine Zwangsausbürgerung im Jahr 1983 nach sich zog. In der BRD war er dann als freier Journalist im Bereich Fernsehen und Zeitung tätig.
Zu Beginn des Referats zeigte man einen Beitrag des ARD-Magazins Kontraste aus dem Jahr 1987, in dem Jugendliche interviewt wurden, die einen Ausreiseantrag aus der DDR stellten und in Berlin-Kreuzberg eine neue Heimat fanden. Das waren Freunde von mir, sagte Roland Jahn. Wie er wollten sie ein selbstbestimmtes Leben führen, Party machen, wie es Jahn formulierte. Das Leben in der DDR sei durchaus schön gewesen, es habe viel Gaudi gegeben und eine Menge Erinnerungen, die man nicht missen will. Doch da war auch dieser Widerspruch. Der Staat schritt sofort ein, wenn etwas außer Kontrolle geriet, sagte Roland Jahn und erinnerte beispielsweise an die Klassenabende, bei denen 60 Prozent Ostmusik gespielt werden musste. Wir wollten lieber Led Zeppelin oder die Stones hören, gab Jahn zu. Damals hatte er allerdings noch Hoffnung, dass man den Staat reformieren könne. So machte er beispielsweise eine Eingabe nach Berlin, dass auch Langhaarige zum Abitur zugelassen werden durften. Und es funktionierte. Der Parteiapparat und die Stasi waren keine Maschinen, sondern handelnde Menschen, vielleicht sogar der nette Nachbar, erklärte Jahn den Gymnasiasten. Natürlich habe jeder Mensch auch die Möglichkeit gehabt, sich zu entscheiden. Jeder trägt die Verantwortung, für das was er tut, so sein Credo. Die Zeit in der DDR sei schön und furchtbar zugleich gewesen und es habe schon immer verschiedene Blickwinkel gegeben. Für Jahn ist es wichtig, dass vor allem die Jugend hört und versteht, warum die Menschen so oder so gehandelt haben. Sei es, dass sie Unrecht begangen oder die Situation in ihrer Wichtigkeit nicht wahrgenommen haben. Die Karten auf den Tisch zu legen und sich ehrlich zu machen empfahl er jedem Bürger, der in der DDR lebte. Ein Mensch bewegt sich immer im Widerspruch und das sei gestern so wie heute.
Natürlich folgte dem Vortrag auch eine lebhafte Diskussion. So erfuhren die Gymnasiasten beispielsweise, dass die Stasi-Akten aneinander gereiht eine Strecke von 111 Kilometern ergeben würden. Knapp die Hälfte davon sei nach Namen sortiert, um die 88 Prozent der anderen Hälfte, in der nur Sachthemen vorkommen, sei bereits bearbeitet. 16000 Säcke mit Papierschnitzeln das entspricht etwa 5000 Blatt pro Sack warteten noch darauf, wieder als Puzzle zusammengefügt zu werden. Eine Million Blätter habe man auf diese Art und Weise bereits wieder hergestellt. Dies sei so wichtig, damit die Menschen beweisen können, dass sie bspw. politisch verurteilt wurden und um Wiedergutmachungsansprüche geltend zu machen.

Antje-Gesine Marsch @28.11.2012