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Udo Scheers Hommage an den Greizer Ehrenbürger Reiner Kunze

Udo Scheers Hommage an den Greizer Ehrenbürger Reiner Kunze

Udo Scheer las im Weißen Saal des Unteren Schlosses Greiz aus seinem Reiner-Kunze-Band "Dichter sein".

Reiner Kunze glaubt an das Märchen der Königskinder, die sich vor Liebeskummer in einen reißenden Fluss stürzen und von der Göttin der Schönheit in Kois verwandelt werden.
GREIZ. Ob es daran liegt, dass Kunzes Mutter ihm als Kind oft die Ballade von den Zwei Königskindern vorsang? Hier schließt sich auch der Kreis von Kunzes Kindheit bis zu dem Zeitpunkt, als er den Bildband „Der Kuss des Koi“ veröffentlichte, wie Udo Scheer sagte, der am Donnerstagabend im Weißen Saal des Unteren Schlosses das Buch Reiner Kunze Dichter sein: eine deutsch-deutsche Freiheit vorstellte. Anlass, diesen Band innerhalb von drei Monaten zu schreiben, sei der 80. Geburtstag des Dichters, so Udo Scheer. Doch hätten die Zweifel, dies zu schaffen überwogen und Scheer wollte nach reiflichen Überlegungen vom Auftrag zurücktreten. Ich gebe es zu und rufe ihn an, hatte sich der Schriftsteller vorgenommen, doch habe Reiner Kunze in seiner verschmitzt, freundlichen Art zu ihm gesagt Da müssen wir in diesem Jahr wohl durch.
Das Buch über Reiner Kunze sei das dritte in der Trilogie um die Dichter Jürgen Fuchs und Günter Ullmann, wie Franz-Josef Schlichting von der Zentrale für politische Bildung zu Beginn n der Lesung ausführte.
Am 16. August 1933 wurde Reiner Kunze in Oelsnitz als Sohn einer Bergarbeiterfamilie geboren, besuchte eine Aufbauklasse für Arbeiterkinder und legte das Abitur ab. Die Güte und Größe mit der er von den Eltern erzogen wurde, werden ihn für sein ganzes Leben prägen. Mit 16 Jahren trat er in die SED ein und studierte an der Karl-Marx-Universität in Leipzig Journalistik und Philosophie. Nach dem Staatsexamen 1955 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent mit Lehrauftrag an der journalistischen Fakultät der Universität. Ich war begeistert von der sozialistischen Idee, wird er sich später erinnern. Geboren in einer armen Familie, in der es kein einziges Buch gab war er dankbar für die Bildung, die er bekam. Doch wurde der zunächst Linientreue zunehmend von der DDR und dem real existierenden Sozialismus enttäuscht und desillusioniert. In der Universität musste er sich daraufhin mit massiven Anfeindungen auseinandersetzen. In dieser schweren Krise kündigte er 1959 seine Stelle, ohne seine Promotion zu beenden. Heute darauf angesprochen, wird er sagen: Ich musste mich durch diese Ideologie erst hindurch denken. Im Jahr 1961 heiratete Kunze die tschechische ärztin Elisabeth, adoptierte deren Tochter Marcela und fand in Greiz als freier Journalist seine Wahlheimat. Dr. Stadtmann, ein bekannter Greizer Arzt bot ihm die Möglichkeit des Aufenthaltes in Kottenheide bei Schöneck in einer Dachkammer seines Häuschens. Fast das ganze Buch Der Löwe Leopold sei dort entstanden. Dass es schließlich 1970 im Westen erschien, hatte sich Kunze in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemacht. In der DDR wurde es auf Anregung des damaligen Kulturministers zwar auch gedruckt, doch waren in der BRD zwischenzeitlich Kunzes Die wunderbaren Jahre erschienen, was die Stasi sehr verstörte. Wir müssen Kunzes Seele weiterkneten, hieß es in den Stasi-Akten, denen vor allem die Ausspähungen von IM Bongartz alias Manfred Ibrahim Böhme – als Fundament dienten. Aus sicherer Quelle« hatten Kunze und seine Frau Elisabeth, die damals als Kieferorthopädin in Greiz arbeitete erfahren, dass an dem spätestens nach dem Erscheinen der Bücher Brief mit blauem Siegel« und Die wunderbaren Jahre« zum Staatsfeind avancierten Schriftsteller ein Exempel statuiert werden sollte. Acht bis zwölf Jahre Haft hätte es bei einem gegen ihn angestrengten Prozess in der Verurteilung geben können, wie der für das MfS arbeitende Schriftsteller Paul Wiens ihm steckte. Eine zweite, ebenfalls sichere Quelle ließ verlauten, dass man nach Stellen eines Ausreiseantrages und einem persönlichen Schreiben an den damaligen DDR-Chef Honecker jenen Prozess vermeiden und sofort die Republik verlassen könne. Nie, wirklich nie, hatten wir jemals den Gedanken gehabt, der DDR den Rücken zu kehren«, erinnerte sich Kunze. Doch die Schlinge um den Hals der Kunzes wurde von Tag zu Tag enger. Neben dem Ausschluss aus dem Schriftstellerverband der DDR, was einem Berufsverbot gleichkam, hatte es unter anderem an der damaligen Erweiterten Oberschule Greiz, an der Kunzes Tochter lernte, Protestaktionen gegen das Erscheinen des Buches Die wunderbaren Jahre« gegeben.« Kommt Zeit, vergeht Unrat hatte der DDR-Schriftsteller Hermann Kant den Kunzes nach deren Weggang hinterhergerufen. Doch sollte der inzwischen deutschlandweit bekannte Dichter auch im Westen nicht problemlos leben und arbeiten können. Als er in Waldbad Kreuth zur Klausurtagung vor Mitgliedern der CSU über seine Erfahrungen in der DDR berichtete, wurde er von den Medien als Strauß-Intimus gescholten. Auch die kieferorthopädische Praxis, die Ehefrau Elisabeth in Passau unter hoher Verschuldung, so Scheer, eröffnete, sei durch die Christlich-Soziale Union finanziert worden, worauf Kunzes heftig monieren. Bis weit in die 1990er Jahre habe er Psychoterror am Telefon ertragen müssen; bei einer Fernsehsendung im Jahr 1998 seien Störsignale der Telekom ausgerechnet an den Stellen, als Reiner Kunze sprach, gesendet worden. Dennoch sei die Maueröffnung das glücklichste Erlebnis seines Lebens gewesen. Im Jahre 1991 hatte Kunze mit einer Lesung in der Stadtkirche seine Verbeugung vor den Greizern gemacht und bezeichnete die politische Wende als Lebenswunder. Doch verschwieg er schon damals nicht die Zweifel, die ihn bewegten. Nichts ist begehrenswerter als die Freiheit, aber auch nichts unbequemer, wird er wissen lassen.
Udo Scheer schuf mit diesem Band eine umfassende und autorisierte Dokumentation der Umstände, unter denen Reiner Kunze in der DDR lebte, litt und hoffte und den Problemen, die nach seiner Ausreise im Jahr 1977 in Westdeutschland nicht unbedingt geringer wurden. Kunze-Kennern dürften allerdings die meisten der Zitate, Aussagen und Ereignisse bekannt gewesen sein.
Der literarische Teil des Abends wurde durch moderne Jazz-Klänge der Formation Jailbreak mit Harald Seidel (bg), Gerd Wittig (dr), Peer Salden (klar), Rudolf Ruby Kuhl (sax) und Ronny Kerl (E-Gitarre) authentisch musikalisch umrahmt. Udo Scheer zeigte sich so begeistert, dass er nach der Lesung noch eine Zugabe forderte.

Info:
Udo Scheer, geb. 1951, studierte an der FSU Jena und war Mitglied im 1975 verbotenen Arbeitskreis Literatur Jena, die Veröffentlichung seiner literarischen Arbeiten wurde in der DDR bis 1989 weitgehend verhindert, seit 1993 ist er freiberuflicher Publizist und Schriftsteller, Mitglied des Autorenkreises der Bundesrepublik und des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland.

Antje-Gesine Marsch @19.09.2013

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