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Prominente im Gespräch: Behinderung – Kein Hindernis!?

Prominente im Gespräch: Behinderung - Kein Hindernis!?

Thüringens Finanzministerin Heike Taubert (M.) unterstützt die Veranstaltung mit Verena Bentele.

Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderte Menschen, Verena Bentele zu Gast bei Harald Seidel

GREIZ. Verena Bentele kommt kurz vor Veranstaltungsbeginn – eingehakt bei einer jungen Frau, die sie direkt zu ihrem Platz führt. Mit eingespielten Handgriffen auf die Sitzfläche tastend, weiß die blinde Frau, wohin sie sich setzen muss. Das Dienstagabend-Prominenten-Gespräch zum Thema „Behinderung – Kein Hindernis?!“ im „Bücherwurm“ war eine der Veranstaltungen, die man sehr nachdenklich, teilweise betroffen – aber auch gestärkt und zuversichtlich verließ. Eingeladen hatte Harald Seidel die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele. Im Podium Platz genommen hatte auch Thüringens Finanzministerin Heike Taubert (SPD), die gemeinsam mit dem Diakonieverein Greiz den Abend unterstützte.
Anwesend waren zudem eine Reihe von Menschen mit Behinderung – unter ihnen auch Joachim Leibiger, Landesvorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Thüringen e. V. , der sich von Weimar auf den Weg in die Stadt Greiz gemacht hatte.
Verena Bentele, Biathletin, Langläuferin und erfolgreichste deutsche Paralympionikin aller Zeiten wollte zwar das Thema Sport nicht in den Fokus ihrer Ausführungen stellen, gab aber lächelnd zu, dass Sport und Politik durchaus Schnittpunkte haben: „Man braucht einen langen Atem und großes Durchhaltevermögen.“ Die von Geburt an blinde Frau und Wahlmünchnerin arbeitete nach Abschluss ihres Literaturstudiums als Personaltrainerin und Coach – bis sie im Januar 2014 zur Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen bestellt wurde. Verena Bentele kann nachempfinden, was Menschen mit Behinderung fühlen – das machte ihre Ausführungen zu den Themen Inklusion, Teilhabe und Barrierefreiheit so authentisch und grundehrlich. Sie betonte, dass ihre Eltern, die einen Bio-Hof am Bodensee betrieben, ihr früh viel anvertraut hätten. Genau das sei wichtig:
„Man muss Menschen mit Behinderung einbeziehen, ihnen Verantwortung übertragen.“ Nur so sei es möglich, dass sie ihren Platz mitten in der Gesellschaft finden. Inklusion heißt für die Politikerin, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam eine Gesellschaft gestalten, in der jeder seinen Platz hat und gefördert wird. „In meiner Tätigkeit möchte ich den Dialog zwischen der Regierung und den Betroffenen fördern und die Barrieren im Kopf durch gegenseitiges Verstehen beseitigen.“ Heike Taubert, die einige Jahre als Ministerin für Soziales fungierte, weiß um die Probleme und Nöte rund um das Thema Behinderung. Als Ministerin warb sie unter anderem dafür, dass Firmen vermehrt Menschen mit Behinderung einen beruflichen Weg ermöglichen und einen festen Job vergeben sollten. Heike Taubert kennt den Umstand, dass man die Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung oft anzweifle – wobei sie in ihrem persönlichen Umfeld auf sehr gute Erfahrungen verweisen kann.

Verena Bentele sprach vom „Dschungel von Anträgen“, der die Arbeitgeber erwarte; viele Vorurteile in Bezug auf Beschäftigungsdauer, mögliche Krankschreibungen oder Kündigungsschutz kämen dazu. Allein das Wort „Behinderung“ sei oft ein Hindernis. Sich in kommunale Gremien einzubringen, empfahl die Bundesbeauftragte, denn hier würden „viele Entscheidungen getroffen“. So sei auch eine Teilhabe am politischen Leben möglich. Dabei stelle sie immer wieder die Grundfrage: „Wie schaffen wir es, individuelle Bedarfe so zu gestalten, dass Menschen mit Behinderung an allen Dingen des Lebens teilhaben können?“ Das sei ein Menschenrecht, betonte Verena Bentele, die auch auf die politischen Rahmenbedingungen hinwies, die stimmen müssten. Ob nicht vielleicht die nichtbehinderten Menschen die eigentliche Behinderung darstellen, fragte Heike Taubert, was von vielen Anwesenden zustimmend zur Kenntnis genommen wurde. Man müsse immer wieder auf die große Verantwortung hinweisen, die die Gesellschaft habe, so die Thüringer Politikerin. Verena Bentele stimmte dem zu: „Behinderung ist ein Problem, das sich einfach in den Weg stellt.“ Als „Hindernis“ würde sie es allerdings nicht bezeichnen; es sei auch eine Chance, Dinge anders zu gestalten.

Die folgende Diskussion wurde rege genutzt, wobei das Thema „Inklusion in der Bildung“ einen großen Part einnahm. Pädagogen der Obergrochlitzer Carolinenschule berichteten über ihre Erfahrungen; dass beispielsweise allein die Kennzeichnung der Busse mit dem Namen der Schule oft für Stigmatisierung sorge und fragten, ob Inklusion in den Schulen überhaupt nötig sei. Der Weg gehe nicht an Inklusion in der Bildung vorbei, so Verena Bentele, wobei Heike Taubert ergänzte, vielleicht solle man alles „etwas langsamer angehen“.
„Der heutige Abend hat mir die Augen geöffnet“, gestand Harald Seidel. Er habe nicht genügend nachgedacht, als er die Veranstaltung zunächst im Weißen Saal des Unteren Schlosses anberaumte. Als nichtbehinderter Mensch denke man oft nicht in alle Richtungen, was die Anwesenden mit Beifall quittierten. Der interessante Abend wurde musikalisch von Konzertpianistin Sarah Stamboltsyan ausgestaltet, die unter anderem eine „Sarabande“ von Johann Sebastian Bach zu Gehör brachte.

Antje-Gesine Marsch @05.03.2015

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