Beim wissenschaftlichen Aufarbeiten stieß man schon in den 1960er Jahren auf manche „Rarität“
GREIZ. Dr. phil. Werner Becker (1925-1985), von 1958 bis 1984 Leiter der Staatlichen Bücher-und Kupferstichsammlungen des Sommerpalais, später der Staatlichen Museen Greiz, schrieb in einem Aufsatz zum Entstehen der Kunstsammlungen im Greizer Sommerpalais:
„Am 8. Februar 1920 wurde die reußische Hofbibliothek in Staatsbesitz überführt. Vorher hatten mit den Bevollmächtigten des abgedankten Fürstenhauses Auseinandersetzungen stattgefunden. Die bis dahin von den fürstlichen Besitzern kaum noch benutzten bzw. beachteten Bestände wurden – nachdem sie dank der Initiative Friedrich Schneiders 1920 für die Öffentlichkeit erschlossen worden waren – von den reußischen Prinzessinnen als Privatbesitz reklamiert.
Die Regierung des Volksstaates Reuß war jedoch stark genug und konnte diesem Versuch, der eine Zerstörung der Bibliothek bedeutet hätte widerstehen. Es wurde ein Kompromiss geschlossen – die neugegründete Bücher-und Kupferstichsammlung führte als Untertitel die Bezeichnung „Stiftung der älteren Linie des Hauses Reuß“.
Da aber diese Stiftung nicht die sonst üblichen Dotationen an Grund und Boden sowie Gebäuden einschloss…kam dieser Titel, da er logisch nicht und juristisch kaum vertretbar war, im Laufe der Jahre in Fortfall. Die Behauptung, dass unsere Kunstsammlung auf Betreiben der reußischen Prinzessinnen, insbesondere der Ex-Kaiserin Hermine begründet wurde, gehört in das Reich der Geschichtchen, die zur Zeit der Fürstenabfindung erfunden und kolportiert wurden, denn der Reprivatisierungsversuch dieser Damen ist aktenkundig. Im Grunde hat aber unsere Institution bereits viel früher als wohlgeordnete gräfliche bzw. fürstliche Bibliothek zu Greiz bestanden. Die Exlibris und Stempel in den Büchern, die Signaturvermerke auf den Büchern und ein exakter handgeschriebener zweibändiger Katalog aus dem 19. Jahrhundert wiesen dies aus.“
Die Ausstellung großer Teile der Büchersammlung als Schaubibliothek und die erst sehr spät durchgeführte Katalogisierung brachten somit Vor-und Nachteile mit sich. Oft waren das Format oder die Einbandgestaltung für die Wahl des Standortes bestimmend gewesen.
Inhaltliche Gesichtspunkte wurden nur wenig beachtet. Der Vorteil aber bestand darin, dass man beim planmäßigen Auf-und wissenschaftlichen Durcharbeiten manche „Rarität“ fand.
Beispielsweise entdeckte man im Jahr 1961 den berühmten Weltatlas des Abraham Ortelius; 1966 stieß man „zwischen französischen Memoiren und Wörterbüchern“, so Dr. Becker, auf drei handgeschriebene, in Leder gebundene Quart-Bände – Bücherverzeichnisse, die den ovalen fürstlichen Stempel trugen.
Wie Dr. Becker schrieb, sei dieser Stempel, der frühestens seit der Erhebung Heinrich XI. in den Fürstenstand im Jahre 1778 gefertigt werden konnte, im Nachhinein in die Bände gedruckt worden.
Der bis auf wenige Nachträge von einer Hand aufgenommene Katalog umfasste 1028 Titel mit etwa 2700 Bänden.
Die übergroße Mehrheit der Werke war in französischer Sprache abgefasst. Die Werke waren bibliothekarisch exakt aufgenommen: Verfasser, Titel, Verlagsort und Erscheinungsjahr. Der Katalog teilte sich in vier Teile: Theologie, Jurisprudenz, Geschichte und Philosophie.
Beim Durcharbeiten des Katalogs fiel zudem auf, dass Bücher aus dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gänzlich fehlten.
Im Katalog war kein einziges Buch verzeichnet, das nach dem Jahr 1769 erschien. Etwa 80 Prozent der Bücher wurden in den Jahren 1727 bis 1766 verlegt.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wies Dr. Becker durch intensives Studium dieser Kataloge nach, dass diese Bibliothek im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts zusammengetragen und gegründet wurde.
Unter den Büchern des 17. Jahrhunderts fanden sich auch einige Bände aus dem Besitz von Heinrich VI., dem Helden von Zenta.
Offenbar legte dieser Reuße den Grundstein für die spätere Hofbibliothek.
Nach Dr. Beckers Meinung kommt als Gründer dieser Bibliothek der Erbauer des Sommerpalais, Heinrich XI., Reuß Ältere Linie in Betracht, der im Jahre 1743 die Regierung von Obergreiz übernommen hatte.
Kurz nach 1840 wurde die Privatbibliothek der Landgräfinwitwe von Hessen-Homburg nach Greiz, die Ende des 18. Jahrhundert auf Schloss Windsor entstand, nach Greiz verbracht.
Nach Verstaatlichung der Hofbibliothek im Jahre 1920 kam auch eine ganze Anzahl von Bänden aus der ehemaligen Bibliothek des Geraer Gymnasiums Rutheneum nach Greiz, die 1608 aus einer Kirchenbibliothek hervorging.
Antje-Gesine Marsch @08.02.2018
Quellen:
Friedrich Schneider: Die neu entdeckte Greizer Bibliothek in Der Kunstwanderer, Jg. 1920, August-Ausgabe, S. 461-463
Dr. Werner Becker: Die Greizer Schabkunstsammlung, Greiz 1964, S. 8 ff.