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Vorsicht, Pilzsucher: Holzmännlein im Schlötengrund

Vorsicht, Pilzsucher: Holzmännlein im Schlötengrund

Bei äußerster Vorsicht lassen sich in Waldhaus kleine Holzmännlein und-weiblein sehen.

Greizer Sage entführt Pilzsammler in den Schlötengrund bei Waldhaus und mahnt zur Vorsicht

WALDHAUS. „Heute ist Pilzwetter“, sagte eines Tages ein Vater zu seinen beiden Jungen. „Das Wetter ist gerade richtig, und macht im Oktober die Pilze fest und gesund. Wie wär’s, ihr Jungen, wenn wir einmal meine Flecke im Schlötengrund absuchten?“
Der Vorschlag fand freudige Zustimmung, jeder steckte sich einen Beutel ein und bald war man unterwegs zum Schlötengrund, übers Waldhaus hinaus. „Hier ist schon alles abgesucht“, brummte der Alte, als sie an seinen „Revieren“ angelangt waren, „da liegen umgestoßene Pilze, da sucht man vergeblich!“ Und ärgerlich meinte er, dass es von Jahr zu Jahr schlimmer werde mit dem Schwammesuchen, alle seine guten Stellen seien schon geplündert.

Doch dann meinte er: „Kommt nur, ihr Buben, ich will euch ein Fleckchen zeigen, wohin so leicht keiner kommt! Aber“, so setzte er mit erhobenem Zeigefinger hinzu, „nehmt euch in acht. In diesem Revier hausen Holzmännlein und die lassen nicht mit sich spaßen!“

Er führte die Jungen in ein nahes Tannen- und Fichtendickicht, wo sie sich bücken und niedriges Gehölz zur Seite biegen mussten, um hineinzugelangen. Aber ihre Mühe lohnte sich reichlich; überall ringsum wucherten schöne, essbare Pilze. „Nun seht, was ihr finden könnt, aber nehmt die Steinpilze sorgfältig aus der Erde! Ich will derweilen abseits suchen; ruft mich, wenn ihr fertig seid, damit wir uns wieder für den Heimweg zusammenfinden!“

Die beiden Buben hatten bald ihre Beutel voll, als sie an ein besonders dichtes Gestrüpp kamen. Als sie die Zweige einer jungen Fichte auseinanderbiegen wollten, um sich Bahn zu schaffen, blieben sie erschrocken und sehr verwundert stehen: auf einem kleinen, runden Platz, dicht vor ihnen, stand ein Männclein, kaum so groß wie eine Schuhlänge und gar drollig aussehend.
Mit hochgestreiften Hemdsärmeln hielt es eine Stange, mit dessen Haken dürre Äste und Zweige mühevoll abgebrochen wurden. Dabei verzog es immer sein Gesicht und hatte es ein Zweiglein niedergebrochen, kam ein ebenso drolliges, winziges Weiblein dahergesprungen, um es nun am Boden entlang mit viel Mühe in die Mitte des Waldplatzes zu ziehen. Dort zerhackte es mit einem wie Silber schimmernden, kleinen Beil die Zweige und legte sie zu einem Bündel aufeinander.

Mit offenem Mund und aufgesperrten Augen standen die beiden Jungen da und wagten nicht sich zu rühren. Das also waren Holzmännlein und -weiblein, vor denen Vater sie gewarnt hatte. Als sie so länger gestanden, die ersten Schrecken sich gelegt hatten, ja, sie gar merkten, dass die kleinen Wesen sie noch nicht gesehen haben konnten, schlichen sie sich leise und langsam davon. Erst am Rande des Dickichts fassten sie wieder Mut und riefen mit gepresster Stimme den Vater, der ganz aus ihrer Nähe antwortete. Als er sie dann so verstört wiedersah, erfuhr er mit Mühe, was die beiden Buben gesehen und erlebt hatten.

„Das war euer Glück, dass Holzmännlein und Holzweiblein euch nicht bemerkt haben“, sagte darauf der Vater verwundert. „Denn wer weiß, was sonst mit euch geschehen wäre!“ Und als sie baten, ihm den Fleck zu zeigen, wehrte dieser ab: „Dass Ihr mir die kleinen Wesen in Ruhe lasst; ja, kein Wort mehr über sie sprecht, solange wir in diesem Wald sind, sonst könnte es euch schlecht bekommen“, mahnte er sogar, um dann eilig mit ihnen heimzugehen.

Später, als die Jungen öfter zu dieser Stelle im Schlötengrund zum Pilzsuchen kamen, sahen sie nichts wieder von den kleinen Wesen, die ihnen soviel Schrecken eingejagt hatten.

Antje-Gesine Marsch @09.10.2016
Nach einer Vorlage von Franz Weidmann: „Sagen des Greizer Reußenlandes“, 1922

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